Eingehüllt in eine Decke mit Blick auf die Nordsee lese ich im Strandkorb sitzend im Personalmagazin „neues lernen“ von John Hagel. Er ist ein renommierter Managementberater, Autor und Vordenker in der Geschäftstransformation. Seine Antworten im Interview fühlen sich an, wie wenn er beim Bowling ständig alle neun Kegel in mir zum Fallen bringt. Ein Volltreffer nach dem nächsten.
Der Schmetterling als Vorbild für echte Transformation
In unserer Unternehmenswelt reden alle gerne von Transformation. Doch wenn wir genau hinschauen, findet sie nicht statt. Die angebliche digitale Transformation ist oft nur ein Deckmantel für das, was ein Unternehmen schon immer gemacht hat, nur etwas schneller und billiger mithilfe von digitalen Technologien. John Hagel verwendet dagegen die Metapher der Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling für echte Transformation. Die bedeute, dass wir uns selbst verändern müssen, und dafür empfiehlt er bei den Emotionen, allen voran den Ängsten zu beginnen.
Ich sitze also gemütlich in diesem Strandkorb an der Nordsee, auf dem Balkon eines meiner Lieblingshotels, dem Upstalsboom Wyk auf Föhr und spüre beim Lesen von John Hagels Antworten Herzklopfen bis zum Hals. Es ist ein Aha-Erlebnis, dass die Ausrichtung meiner Seminarlocation räume verändert. Mir wird klar, dass ich genau dafür räume | für natürliches Wachstum gegründet habe. Um Menschen und Unternehmen einen geschützten Raum anzubieten, um sich über Ängste klar zu werden und über sie hinauszuwachsen. Denn die große Chance liegt in einem gesunden Umgang mit unseren Emotionen. Sie sind uns angeboren als natürliches Navigationsgerät. Ängste sind Warnsignale und Hinweisschilder. Wenn wir sie jedoch verdrängen und ignorieren landen wir früher oder später im Chaos.
Neugierde, Zusammenarbeit, Vorstellungskraft, Kreativität, Reflektion
Auf die Frage, ob eine Offenheit für Emotionen und die Fähigkeit zur Kommunikation innovative Unternehmen kennzeichne antwortete John Hagel, dass die Unternehmen aktuell versagen, weil sie vor allem das tun, was sie bisher getan haben. Das sei die Angst, die unsere Institutionen beherrsche. Angst vor dem Neuen. Angst vor dem Nichtwissen. Wir haben Angst vor dem, was uns den Weg raus zeigt. Wir bräuchten das Erkennen dieser Angst gegenüber den Kompetenzen, die uns in Wahrheit weiterhelfen: Neugierde, Zusammenarbeit, Vorstellungskraft, Kreativität und Reflektion. Denn auch wenn sie bisher in den Unternehmen noch sehr kritisch gesehen würden, seien es genau diese Kompetenzen, die ein Umfeld schaffen können, in dem sehr schnell und erfolgreich gelernt wird.
An diese Kompetenz-Schatzkiste kommen wir Menschen allerdings nur, wenn wir uns trauen, unsere Ängste wahrzunehmen, statt zu fliehen und sie mit Arbeit, Alkohol oder anderen Süchten zu verdrängen. Ein gesunder Umgang mit den eigenen Emotionen ist eine Trainingsfrage. Wie Sport. Je mehr wir üben und uns über unser Frühwarnsystem von Angst, Wut, Trauer, Langeweile, Ekel und Wertlosigkeit bewusst werden, können wir es auch in anderen durch unser Spiegelneuronensystem wahrnehmen. Und wenn wir es wahrnehmen – können wir ruhig und gelassen bleiben. Wahrnehmen und zur Orientierung ins Neue nutzen. Wenn wir diese warnenden Emotionen nutzen und einbeziehen, blockieren sie uns nicht weiter und wir können kreativ aus dem Vollen schöpfen. Für neue Lösungen miteinander.
Oder wie John Hagel es formuliert: „Ich glaube, wenn wir es mit der Transformation wirklich ernst meinen, müssen wir uns auf die Emotionen konzentrieren, denn solange wir die Angst nicht erkennen und überwinden, die unser Handeln sowohl an der Spitze des Unternehmens als auch in den unteren Rängen zunehmend bestimmt, solange wir uns nicht mit dieser Angst auseinandersetzen, wird es keine Transformation geben. Wir müssen Wege finden, um die Menschen über die Angst hinauszubringen, damit sie Emotionen aufbauen können, die ihnen helfen, mehr Wirkung zu erzielen, die sinnvoll ist. Und es wird ihnen helfen, die exponentiell wachsenden Möglichkeiten zu erkennen, die es da draußen gibt.“
Diana Stier
Journalistin, Hypnocoach, Inhaberin räume, Co-Founderin FoodCircle Karlsruhe & 1. Vorsitzende von Tischlein Deck Dich e.V.